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Pioniere

52. Rundbrief der Deutschen Arbeitsgemeinschaft Soziale Landwirtschaft (DASoL)

Bereits zu Weihnachten ist der 52. Rundbrief der Deutschen Arbeitsgemeinschaft Soziale Landwirtschaft (DASoL) erschienen. Darin findet sich u.a. ein Hinweis auf Anna Hemmingers Podcast-Reihe „Power to the Bauer“ (S. 33ff.) sowie Christian Hofmanns auf dieser Website bereits veröffentlichter Bericht zum Workshop „SOFAR – Sustainable Rural Regions through Women Social Agripreneurship and Social Farming“ (18.-22.11.2024) in Oeiras (Portugal) (S. 53ff.):

Bericht zum Workshop „SOFAR – Sustainable Rural Regions through Women Social Agripreneurship and Social Farming“ (18.-22.11.2024) in Oeiras (Portugal)

Christian Hofmann

Vom 18. bis zum 22. November 2024 fand der dritte von insgesamt fünf Workshops des aus EU-Mitteln (Erasmus+) geförderten Projekts „SOFAR – Sustainable Rural Regions through Women Social Agripreneurship and Social Farming“ im portugiesischen Ort Oeiras statt. Ziel des Projektes SOFAR (Social Farming) mit über 20 Teilnehmenden aus Portugal, Türkei, Slowenien und Deutschland ist es, einen intereuropäischen Erfahrungsaustausch über die Möglichkeiten und Realisierungswege von Sozialer Landwirtschaft und deren Potenziale gerade für Frauen und die Entwicklung ländlicher Regionen zu führen. Dabei sollen insbesondere den antragstellenden und das Projekt koordinierenden türkischen Projektpartnern von der Gazi-Universität (Ankara) genauere Kenntnisse über die damit verbundenen Konzepte und Möglichkeiten vermittelt werden, die sie dazu befähigen, eigenes didaktisches Material zu entwickeln und entsprechende Entwicklungsprozesse in der Region Ankara anzustoßen. U.a. soll ein Handbuch entstehen, an dem sich z.B. NGOs und Praktiker:innen orientieren können.

Die türkischen Projektpartner koordinieren das Projekt unter der Leitung von Prof. Güclü Yavuzcan. Sie kommen von den Fakultäten für Industrial Design und für Landwirtschaft der Gazi-Universität sowie von einer Frauenkooperative aus Ankara. Bei dem Workshop wurden von den Projektpartnern aus Portugal, Slowenien und Deutschland in insgesamt 10 Modulen etwa über die Themen „Soziale Landwirtschaft und Menschen mit geistiger Beeinträchtigung“ oder „Geschäftsmodelle für Social Agripreneurship“ referiert und hierüber gemeinsam mit den türkischen Projektpartnern diskutiert. Daneben ging es auch um die Präsentation eigener Projekte im Bereich der Sozialen Landwirtschaft, die als Best-practice-Beispiele gelten können. 

Die gastgebende Organisation war die NGO Semear (s. www.semear.pt), die im nur wenige Kilometer von Lissabon entfernten Ort Oeiras ein ökologisch wirtschaftendes Projekt der Sozialen Landwirtschaft betreibt und den Weg zu einer wirklich inklusiven Gesellschaft aufzeigen möchte. So arbeiten bei Semear Menschen mit (und ohne) geistige Beeinträchtigung bzw. unterschiedlichen Entwicklungsschwierigkeiten auf dem Acker (Semear terra) sowie beim Packen und Transport von Gemüsekisten, und erhalten hierbei eine Ausbildung. Darüber hinaus betreibt Semear auch Verarbeitung und Verkauf von Lebensmitteln (wie etwa Honig, Marmelade oder Olivenöl), ein eigenes Restaurant sowie eine Keramikwerkstatt. Die Arbeit der Organisation wurde in beeindruckender Weise von Iolanda Valente vorgestellt. Semear ist in der glücklichen Lage, durch eine Reihe zahlungskräftiger Sponsoren finanziert zu werden und auf einem sehr weitläufigen Grundstück in kommunalem Besitz, einer aus dem 18. Jahrhundert stammenden ehemaligen Gartenanlage des Marques de Pombal, Raum für Ackerbau und weitere Aktivitäten zu finden. Auf diesem Grundstück sind neben Universitätsgebäuden zudem weitere Projekte angesiedelt, die z.T. eng mit Semear kooperieren und die für die Projektgruppe ebenfalls Ziele von Exkursionen wurden: so etwa ein städtisches Weingut, das sich dem Experimentieren und dem Erhalt des kulturellen Erbes verschrieben hat, und ein Citizen-Science-Ackerbau-Projekt, bei dem insbesondere mit dem Anbau resilienter, an den Klimawandel angepasster Sorten wie der Saat-Platterbse (Lathyrus sativus) experimentiert wird. Ebenfalls besuchte die Gruppe ein Urban Gardeming-Projekt in Oeiras.

Die slowenischen Projektpartner Goran und Lili Milosovic stellten das Projekt des Bio-Sozial-Hofs Korenika vor (s. https://www.korenika.si/korenika-de), das wie Semear ebenfalls als ein Best-practice-Beispiel der Sozialen Landwirtschaft gelten kann. Im nordostslowenischen Ort Salovci, im Landschaftsschutzgebiet Krajinski park Goricko, wurde ab 2008 der verlassene Hof Korenika wiederbelebt und in Kooperation mit dem Verein Pribinovina mehr als 50 Arbeitsplätze für Menschen mit Beeinträchtigung und aus verschiedenen vulnerablen Gruppen geschaffen. Zudem kommen Senior:innen und Schulklassen auf den Hof. Das Projekt umfasst ebenfalls die Bereiche Verarbeitung und Vertrieb von landwirtschaftlichen Produkten (z.B. Heilkräuter und Hanföl) sowie Bildungsveranstaltungen für die Öffentlichkeit sowie Angebote in Tourismus und Gastronomie.

Wie Semear wirtschaftet Korenika ökologisch; bei beiden handelt es sich um Projekte sozialen Unternehmertums, in denen Inklusion und Gemeinwohl im Vordergrund stehen. Damit haben beide Projekte zudem eine große Bedeutung für die soziale Integration in den jeweiligen Kommunen. So sind Semear und Korenika im engen Kontakt und Austausch mit der Verwaltung und dem jeweiligen Bürgermeister und betonen die Vorteile der sozialen Integration von Menschen mit sozialem Unterstützungsbedarf wie z.B. Behinderten, Obdachlosen oder Flüchtlingen für die Kommunen. Die Kommunen (Städte wie Dörfer) werden bei der Integration der sozial bedürftigen Zielgruppen entlastet – sie profitieren also selbst von den Projekten der Sozialen Landwirtschaft und sind zugleich wichtige Netzwerkpartner für diese.

Von deutscher Seite aus waren Alexander Krauss (SoWiBeFo-Institut, Regensburg), Dr. Viktoria Lofner-Meir (Ministerialrätin a.D. und Vorsitzende des Vereins Soziale Landwirtschaft Bayern e.V.) und Dr. Christian Hofmann (KSH München und Verein Soziale Landwirtschaft Bayern) dabei. Alexander Krauss ist in enger Abstimmung mit den türkischen Projektpartnern auch an der Organisation und Koordination beteiligt und hat häufig moderiert. Viktoria Lofner-Meir und Christian Hofmann referierten u.a. über Finanzierungsmöglichkeiten für Landwirtinnen und Landwirte sowie soziale Netzwerke und stellten die Arbeit des Vereins Soziale Landwirtschaft sowie des oberbayerischen Praxisnetzwerks Soziale Landwirtschaft und den im Herbst 2024 erschienenen, von Christian Hofmann gemeinsam mit Prof. Michael Spieker herausgegebenen, Sammelband „Potenziale der Sozialen Landwirtschaft“ vor. 

In der Mischung aus theoretischen Inputs, Best-practice-Beispielen und Exkursionen war die Veranstaltung sehr gelungen und äußerst inspirierend und bereichernd. Die Zusammenarbeit soll 2025 in zwei weiteren Treffen weiter vertieft werden, die in Slowenien und in der Türkei stattfinden sollen. Dabei wird es darum gehen, konkrete Konzepte und Pläne auszuarbeiten, die für die Umsetzung in der Türkei empfohlen werden können. Dabei stellt sich auch die Frage, welche Netzwerkpartner vor Ort einbezogen werden können. Hierfür wäre es vermutlich gut, Landwirt:innen und Vertreter:innen Sozialer Organisationen und Sozialer Arbeit frühzeitig in die Diskussion einzubeziehen.

Bericht zur Abschlussveranstaltung des Projekts NLW am 8.11. in Benediktbeuern: „Das Soziale und die Landwirtschaft“

Am 8. November 2024 fand unter dem Titel „„Das Soziale und die Landwirtschaft. Zwischen gesellschaftlichem Konflikt und neuen Chancen“ die Abschlusstagung des vom Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst geförderten Forschungsprojekts NLW („Natur – Land – Wirtschaft“) auf dem Campus Benediktbeuern der KSH München statt.

Prof. Dr. Michael Spieker und Dr. Christian Hofmann stellten dabei das Projekt NLW vor, das seinen Ausgang von dem gesellschaftlichen Konflikt um die Transformation der Landwirtschaft und der Entfremdung von den (nur abstrakt zu trennenden) Bereichen von Landwirtschaft und Gesellschaft nahm, wie sie in der Vergangenheit etwa in den Bauernprotesten zum Ausdruck kamen. Ökonomischer Druck auf die Landwirte (die sich dem Prinzip „Wachse oder weiche!“ ausgesetzt sehen) und die ökologische Belastung der Natur durch intensive Landnutzung können als zwei Seiten des selben Problems aufgefasst werden.

Wie können Landwirtschaft und Gesellschaft wieder zusammenfinden? Wie kann Landwirtschaft wieder sozial und ökologisch nachhaltig werden? Bei der Bearbeitung dieser Fragen konzentrierte sich das Projekt NLW v.a. auf Nischen der Transformation, nämlich die Solidarische Landwirtschaft (Solawi) und die Soziale Landwirtschaft (SozLawi). Insbesondere letztere stand im Fokus des Forschungsprojekts und somit auch der Abschlusstagung. Das Projekt konnte hierzu den frisch gedruckten Sammelband „Potenziale der Sozialen Landwirtschaft. Vielfalt und Anerkennung für Höfe und Menschen“ (erschienen beim Verlag Metropolis) präsentieren.    

Als Gastreferentin referierte die Sozialwissenschaftlerin Prof. Dr. Susanne Elsen von der Freien Universität Bozen zum Thema „Der Beitrag der Sozialen Landwirtschaft zur ökosozialen Transformation“ und berichtete dabei insbesondere auch von den Erfahrungen mit der Sozialen Landwirtschaft in Italien. Dort ist die Entwicklung der Sozialen Landwirtschaft schon sehr viel weiter vorangeschritten als in Deutschland, sodass es seit 2015 etwa auch ein eigenes nationales Gesetz hierzu gibt. Eine weitere Besonderheit ist, dass in Italien Projekte der Sozialen Landwirtschaft häufig von Bürger- und Sozialgenossenschaften betrieben werden, die auf kleinen Betrieben ökologisch und gemeinwesenorientiert wirtschaften und auf diese Weise neue Wege zu einer ökosozialen Transformation aufzeigen.

Im Anschluss an den Vortrag fand eine Gesprächsrunde statt, an der Vertreterinnen und Vertreter aus der Praxis (Dr. Markus Höbel aus Altusried sowie das Ehepaar Schönach aus Eschenlohe), der Wissenschaft (Prof. Dr. Elsen) und der Politik (Regine Wiesend vom Bayerischen Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft, Forsten und Tourismus) teilnahmen. Das Ehepaar Schönach hat auf dem eigenen Hof eine Außenarbeitsstelle für eine der Töchter eingerichtet, die eine Lernbehinderung hat und mittlerweile weitgehend allein für das Melken und die Versorgung der Kühe zuständig ist.  

Der Theologe und Religionspädagoge Dr. Höbel betreut auf seinem Hof bereits seit über 20 Jahren zunächst Haftentlassene und dann als „unbeschulbar“ abgestempelte Jugendliche, um sie bei ihrem Weg (zurück) in die Gesellschaft zu unterstützen. Dafür bedarf es einer intensiven Betreuung, die z.B. dazu führt, dass Jugendliche im Umgang mit Tieren zum ersten Mal lernen, was Empathie bedeutet, und die sie schließlich auch dazu befähigt, ihren Hauptschulabschluss nachzuholen.   

Regine Wiesend warb für das Lernen voneinander und für eine offene Gesprächskultur. Susanne Elsen setzte zum Schluss ihre Hoffnung auf die Jugend. Das Land biete jungen Leuten durchaus Möglichkeiten, sich zu entfalten und eigene Projekte zu realisieren. Ein anregendes Gesprächs- und Begegnungsforum, bei dem zugleich viele junge Leute anwesend waren, bot diese Abschlusstagung. Unter den etwa 60 Personen im Audimax waren u.a. Landwirtinnen und Landwirte, Vertreterinnen und Vertreter von Verbänden und zahlreiche Studierende der Sozialen Arbeit.

Natur – Land – Wirtschaft: Eine Tagung zur Transformation der Landwirtschaft

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Bevor der Krieg und das Corona-Virus die Aufmerksamkeit von Öffentlichkeit und Politik auf sich zogen, war es die Landwirtschaft, die – nicht nur in Deutschland – die Menschen zu Tausenden auf die Straßen trieb.

In der Gegenwart prägen mehrere krisenhafte Konflikte die Entwicklung der Landwirtschaft: Konflikte zwischen landwirtschaftlichen Arbeitsweisen und Klima- bzw. Artenschutz, zwischen „nutzenmaximierender“ Ökonomie und sozial-ökologischer Nachhaltigkeit, zwischen Globalisierung und regionaler Versorgungssicherheit, zwischen unterschiedlichen Landwirtschaftsstilen selbst und schließlich zwischen gesellschaftlichen Erwartungen an die Landwirtschaft und deren Selbstpositionierung. Die einen sahen „die Landwirtschaft“ als Hauptverursacherin des Artensterbens, während die anderen meinten, dass die Rolle der Landwirtschaft und besonders der Landwirte vom Rest der Gesellschaft überhaupt nicht verstanden werde. Angesichts der Härte des Streits wollte der bayerische Ministerpräsident gleich den ganzen Staat neu gründen, indem er von der Notwendigkeit eines „neuen Gesellschaftsvertrags“ sprach, den er in einer Kommission grundlegen wollte.

Das Forschungsprojekt „Natur, Land, Wirtschaft“ untersucht diesen Konflikt und mögliche Wege zu einer nachhaltigen Entwicklung der Landwirtschaft. In einer Tutzinger Tagung versammelten sich dazu Landwirte aus konventionellen wie aus ökologischen Betrieben sowie Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen.

Der Philosoph Harald Schwaetzer, der sowohl klassische Texte der Antike zu übersetzen vermag als auch einen Traktor zu fahren weiß, führte zunächst in ein seit dem 18. Jahrhundert verdrängtes Denken und Fühlen der Natur ein. Bis hin zu Aufklärungszeit galt die Natur nämlich nicht als bloßer Begriff oder als Gegenstand für die menschliche Gestaltungsmacht, sondern als ein eigenes, handlungsmächtiges Wesen. Die „natura“ war ein göttlich-geistiges Wesen, das den Boden nur so eben berührt und weit hinaus in den Kosmos hinausreicht. Wer einen Acker pflügte, der öffnete ihn damit für die Einwirkung der Himmels- und Sternenkräfte. Das Bebauen der Erde war ebenso ein Pflegen wie Ausdruck von Verehrung einer Kraft, die die Menschen nicht beherrschen können: Alles drei sind Bedeutungen des lateinischen colere, wovon das Kultivieren abgeleitet ist.

Für Antike und Mittelalter war die Tätigkeit des Bauern stets auch ein religiöser Akt, das Bebauen der Erde war ein Moment des universalen Beziehungsgeflechts einer in sich guten Ordnung. Ein Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnis des Menschen gegenüber der Umwelt war undenkbar. Wenn daher in der Gegenwart von der Notwendigkeit einer Transformation der Landwirtschaft die Rede sei, gelte es zu bedenken, dass dies vor allem damit zusammenhängt, dass die Menschen selbst sich transformieren und kultivieren müssen, so Schwaetzer.

Auf sozial-ökologische Bewegungen, die von diesem Impuls der Selbst- und Welttransformation bewegt sind und eine alternative Lebens- und Wirtschaftsform einfordern, machte der Ethnologe Ulrich Demmer aufmerksam. In der Vereinigung La Via Campesina sind seit Anfang der 1990er Jahre weltweit Kleinbauern verbündet, um ein Modell des „guten Lebens“ von Bauern und Natur zu verteidigen und zu verbreiten: mit solidarischen Austauschformen, Wertschätzung für ihre lebenserhaltende Tätigkeit und gegen die Zerstörung von Gemeingütern wie Boden, Wasser und Luft und gegen das Zerreißen des sozialen Bandes zwischen Bauern und Gesellschaft.

Seit über zehn Generationen bewirtschaftet die Familie von Maria Lidl im oberbayerischen Penzberg einen Hof, der vor allem Milchvieh hält, aber auch ein Ferien- und Bildungsort für nahe Kindergärten und Schulen ist. Mit ihr sprachen Carmen Grimbs, die seit einigen Jahren einen Demeter-Hof in Kamlach bewirtschaftet, und Niels Ondraschek von Transition Woods, einem Verein, der statt der verbreiteten Holzplantagen wieder natürliche Waldlebensräume schafft. Sie waren sich einig, dass Vielfalt nicht nur für das Leben der Böden, Wälder oder Tiere gut ist, sondern auch für die Menschen, die sie als Land- oder Forstwirte kultivieren.

Über die Problematik der sogenannten „Agrarwende“ sprach der Umweltethiker und langjährige Geschäftsführer der Schweisfurth-Stiftung Franz-Theo Gottwald. Sie setze vor allem eine Ernährungswende voraus. Zudem stehen die Aktivitäten aus der Biotechnologie- und Finanzbranche, die bei den Böden zu einer immer höheren Eigentumskonzentration führen, einer nachhaltigkeitsorientierten Wende entgegen. Auch dürfte die Unterschiedlichkeit der Vorstellungen innerhalb der Bauernschaft selbst und zwischen ihr und gesellschaftlichen Anspruchsgruppen nicht übersehen werden. Gottwald berichtete von der Zusammenarbeit in sektorübergreifenden Arbeitsgruppen, die über die Beschäftigung mit gemeinsamen Themen, wie Vermarktungsstrategien oder Bodenpflege, die Verständigung voranbringen. Das wirke besser, als von der großen Politik verkündete „Wenden“.

Wie ein vorherrschender Landwirtschaftsstil durch alternative Pioniere verändert wird, untersuchte die Politikwissenschaftlerin Dorothea Schoppek. Solche Pionierprojekte starten mit unterschiedlichen Strategien: so gibt es Unternehmungen, die in den offenen Konflikt zu gegenwärtigen Praktiken gehen (zum Beispiel mit einer Ackerbesetzung, die gegen den Bodenverbrauch durch Gewerbebauten demonstriert) und solche, die in einer Nische ein Beispiel für ihr Verständnis einer nachhaltigen Landwirtschaft geben (etwa in einer Solidarischen Landwirtschaft). Schließlich gibt es reform-orientierte Praktiken, die eine große Reichweite erzielen, zugleich aber systemstabilisierend wirken (wie die Verbreitung von Biolebensmitteln über Discounter). Dass es in der Gesellschaft keine gemeinsame Wahrnehmung von Natur gibt, sondern vielmehr ein spannungsgeladenes Feld unterschiedlicher Ziele und Naturverhältnisse, beschrieb der Soziologe Dennis Eversberg.

Von Seiten der Praxis konnte das nur bestätigt werden: Wolfgang Scholz vom Bayerischen Bauernverband, Brigitte Honold von der Solidargemeinschaft Unser Land und Verena Halbritter von der Solidarischen Landwirtschaft Donihof zeigten, wie denselben Herausforderungen mit unterschiedlichen Ansätzen begegnet werden muss. Für die bäuerliche Landwirtschaft ist Nachhaltigkeit immer schon zentral, wie mitunter über Jahrhunderte fortgeführte Höfe zeigen. Doch auch neugegründete Arbeits- und Lebensgemeinschaften, wie der Donihof erfüllen eine wichtige Rolle in der Transformation: Sie führen Konsumenten und Produzenten, Böden und Bodenbewohner und zuletzt auch Stadt und Land auf erfüllende Weise zusammen. Wie die konsequente Orientierung an Regionalität unterschiedliche Akteure (Bauern, verarbeitendes Gewerbe und Handwerk, Vermarkter, Konsumenten) zusammenführt und Interessen ausgleicht, zeigt die bald 30jährige Arbeit der Solidargemeinschaft Unser Land.

Links: 

https://www.solidarische-landwirtschaft.org/ 

https://agrardebatten.de/

https://transitionwoods.org/

Chancen der sozialen Landwirtschaft – Tagungsbericht

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Die von Prof. Dr. Michael Spieker organisierte Tagung „Chancen der sozialen Landwirtschaft“ fand am 20. und 21. September in der Akademie für Politische Bildung in Tutzing statt. Das Thema der sozialen Landwirtschaft ist in der gesellschaftlichen und politischen Diskussion hierzulande noch relativ unbekannt – obwohl es doch ein zugleich uraltes Phänomen bezeichnet. Denn Landwirtschaft sorgt seit jeher nicht allein für die Nahrungsmittelproduktion, sondern ist auch als soziale Lebensform zu verstehen. Sie stellt immer schon einen Raum dar, in dem Menschen unterschiedlichster Art – Junge und Alte, Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Bedürfnissen – zusammen arbeiten und dabei von und mit der Natur leben. An diese multifunktionalen Lebens- und Praxisformen eines „sozialen Umgangs mit der Natur“, die durch die Industrialisierung und Technisierung der letzten Jahrzehnte allerdings zurückgedrängt wurden, knüpft der Gedanke der „sozialen Landwirtschaft“ an, wie etwa Thomas van Elsen (Universität Kassel und Deutsche Arbeitsgemeinschaft Soziale Landwirtschaft) in seinem Eingangsvortrag betonte.

Bauernhöfe können so nicht bloß als Nahrungslieferanten verstanden werden, sondern auch als Räume, in denen z.B. Menschen mit Förderbedarf Arbeit finden und auf diese Weise Selbstwirksamkeit und Anerkennung erfahren. Soziale Landwirtschaft eröffnet somit Möglichkeiten der Inklusion. Dabei bietet das Arbeiten im direkten Umgang mit Tieren, Pflanzen und den natürlichen Gegebenheiten und Kreisläufen zugleich therapeutische Potentiale für Menschen mit psychischen, Sucht- oder Demenzerkrankungen, etwa in der „tiergestützten Therapie“. Der Begriff der „sozialen Landwirtschaft“ erweist sich dabei als äußerst vielschichtig – mit ihm lassen sich ebenso handlungs- und erlebnispädagogische Angebote für junge Menschen umfassen (etwa Bauernhofkindergärten, Schule auf dem Bauernhof) oder auch Möglichkeiten eines selbstbestimmten Lebens für ältere Menschen (z.B. Senioren-WGs auf dem Bauernhof).

Soziale Landwirtschaft bedeutet somit die Verbindung von Landwirtschaft mit sozialer und pädagogischer Arbeit. Gleichzeitig steht sie häufig in einem engen Zusammenhang mit dem Gedanken ökologischer Nachhaltigkeit: zwar sind Projekte sozialer Landwirtschaft nicht ausschließlich auf Bio-Höfen zu finden, letztere waren und sind aber häufig die Vorreiter und überproportional vertreten. Schließlich „leben“ die genannten sozialen und pädagogischen Projekte gerade von einem engen und direkten Austausch mit der Natur, sie lassen sich nicht in hochtechnisierten Großbetrieben durchführen. So lassen sich ökologische und soziale Nachhaltigkeit sehr gut zusammendenken und Projekte sozialer Landwirtschaft können als konkrete Beispiele der Verwirklichung sozial-ökologischer Transformation gelten.

Doch warum sollten Landwirte sich überhaupt mit dem Thema beschäftigen? Sind sie mit ihrer „eigentlichen“ Aufgabe der Nahrungsmittelproduktion nicht ohnehin schon genug ausgelastet? Sicherlich sind sie das, doch die soziale Landwirtschaft birgt für sie auch zusätzliche ökonomische Potentiale, da sie hierdurch sich „breiter aufstellen“ und ihre Einnahmequellen diversifizieren können. Zugleich bieten sich über soziale Projekte Möglichkeiten in einen Dialog mit der Gesellschaft zu treten. Dass ein solcher Dialog wichtig ist, um eine derzeit häufig empfundene Entfremdung zwischen Gesellschaft und Landwirtschaft zu überwinden, berichtete auf der Tagung etwa der Landwirt Georg Rudolph aus Böbing. Zudem können über attraktive „Erlebnisbauernhöfe“ neue Kunden gewonnen werden, die vielleicht im Hofladen auch direkt die Produkte des Hofes erwerben.

Derzeit entdecken jedenfalls immer mehr Höfe die Potentiale sozialer Landwirtschaft, sie beginnen sich zu vernetzen. Hier bedarf es freilich auch der Zusammenarbeit mit Gemeinden und Fachkräften,

etwa – je nach Projekt – aus den Bereichen der Pflege, Therapie oder Pädagogik. Auch bedarf es der Unterstützung durch die Politik, die die Möglichkeiten sozialer Landwirtschaft derzeit ebenfalls zu entdecken scheint. So berichtete Regine Wiesend vom Bayerischen Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten über „Stand und Entwicklung“ der sozialen Landwirtschaft in Bayern. Derzeit gebe es rund 200 Betriebe der sozialen Landwirtschaft in Bayern – Tendenz steigend.

Frau Wiesend und Frau Dr. Viktoria Lofner-Meir, die früher ebenfalls im Ministerium tätig war und dort richtungsweisende Arbeit in dieser Richtung leistete, verwiesen zudem auf das „Praxis-Handbuch Soziale Landwirtschaft“, das kürzlich in einer aktualisierten Auflage als

Abschlussbericht eines auch mit EU-Mitteln geförderten Projekts publiziert wurde. Frau Lofner-Meir, die heute dem Verein Soziale Landwirtschaft e.V. vorsteht, berichtete aus ihrer langjährigen Erfahrung heraus auch von ökonomischen Herausforderungen, mit denen sich Landwirte konfrontiert sehen. Derzeit sind noch viele Fragen offen, etwa was die Finanzierung sozialer Landwirtschaft und Klärung administrativer Zuständigkeiten anbelangt, wie auch Martina Rasch von der Fachstelle Maßstab Mensch in Horstedt (Niedersachen) berichtete. So sei das System der sozialen Arbeit noch nicht auf die Möglichkeiten sozialer Landwirtschaft eingestellt, häufig fehlten auch noch die rechtlichen Grundlagen für eine Förderung, was zur Verunsicherung bei allen Beteiligten führe. Ein Ausweg könne in manchen Fällen das „persönliche Budget“ sein, mit dem nicht Institutionen, sondern die Klienten selbst individuell gefördert werden, wie Rasch schilderte. Hier zeigt sich für die Politik noch Handlungsbedarf. Dass damit für die Menschen aus allen Zielgruppen und für die Landwirte, aber auch für die Gesellschaft insgesamt viel gewonnen werden kann, zeigte die Tagung eindrücklich.

BR 2 Notizbuch Landwirte auf alternativen Wegen

  • von

Die Landwirtschaft der Zukunft: Wie schaffen es regionale, nachhaltige Initiativen, aus ihrer Nische zu kommen und eine echte Alternative zur jetzigen Landwirtschaft zu werden?
Ein Bericht zum Thema unserer Tagung an der Akademie für Politische Bildung.

Radioreportage vom  17. Mai 2023 von 11:05 Uhr bis 12:00 auf Bayern 2