Bevor der Krieg und das Corona-Virus die Aufmerksamkeit von Öffentlichkeit und Politik auf sich zogen, war es die Landwirtschaft, die – nicht nur in Deutschland – die Menschen zu Tausenden auf die Straßen trieb.
In der Gegenwart prägen mehrere krisenhafte Konflikte die Entwicklung der Landwirtschaft: Konflikte zwischen landwirtschaftlichen Arbeitsweisen und Klima- bzw. Artenschutz, zwischen „nutzenmaximierender“ Ökonomie und sozial-ökologischer Nachhaltigkeit, zwischen Globalisierung und regionaler Versorgungssicherheit, zwischen unterschiedlichen Landwirtschaftsstilen selbst und schließlich zwischen gesellschaftlichen Erwartungen an die Landwirtschaft und deren Selbstpositionierung. Die einen sahen „die Landwirtschaft“ als Hauptverursacherin des Artensterbens, während die anderen meinten, dass die Rolle der Landwirtschaft und besonders der Landwirte vom Rest der Gesellschaft überhaupt nicht verstanden werde. Angesichts der Härte des Streits wollte der bayerische Ministerpräsident gleich den ganzen Staat neu gründen, indem er von der Notwendigkeit eines „neuen Gesellschaftsvertrags“ sprach, den er in einer Kommission grundlegen wollte.
Das Forschungsprojekt „Natur, Land, Wirtschaft“ untersucht diesen Konflikt und mögliche Wege zu einer nachhaltigen Entwicklung der Landwirtschaft. In einer Tutzinger Tagung versammelten sich dazu Landwirte aus konventionellen wie aus ökologischen Betrieben sowie Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen.
Der Philosoph Harald Schwaetzer, der sowohl klassische Texte der Antike zu übersetzen vermag als auch einen Traktor zu fahren weiß, führte zunächst in ein seit dem 18. Jahrhundert verdrängtes Denken und Fühlen der Natur ein. Bis hin zu Aufklärungszeit galt die Natur nämlich nicht als bloßer Begriff oder als Gegenstand für die menschliche Gestaltungsmacht, sondern als ein eigenes, handlungsmächtiges Wesen. Die „natura“ war ein göttlich-geistiges Wesen, das den Boden nur so eben berührt und weit hinaus in den Kosmos hinausreicht. Wer einen Acker pflügte, der öffnete ihn damit für die Einwirkung der Himmels- und Sternenkräfte. Das Bebauen der Erde war ebenso ein Pflegen wie Ausdruck von Verehrung einer Kraft, die die Menschen nicht beherrschen können: Alles drei sind Bedeutungen des lateinischen colere, wovon das Kultivieren abgeleitet ist.
Für Antike und Mittelalter war die Tätigkeit des Bauern stets auch ein religiöser Akt, das Bebauen der Erde war ein Moment des universalen Beziehungsgeflechts einer in sich guten Ordnung. Ein Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnis des Menschen gegenüber der Umwelt war undenkbar. Wenn daher in der Gegenwart von der Notwendigkeit einer Transformation der Landwirtschaft die Rede sei, gelte es zu bedenken, dass dies vor allem damit zusammenhängt, dass die Menschen selbst sich transformieren und kultivieren müssen, so Schwaetzer.
Auf sozial-ökologische Bewegungen, die von diesem Impuls der Selbst- und Welttransformation bewegt sind und eine alternative Lebens- und Wirtschaftsform einfordern, machte der Ethnologe Ulrich Demmer aufmerksam. In der Vereinigung La Via Campesina sind seit Anfang der 1990er Jahre weltweit Kleinbauern verbündet, um ein Modell des „guten Lebens“ von Bauern und Natur zu verteidigen und zu verbreiten: mit solidarischen Austauschformen, Wertschätzung für ihre lebenserhaltende Tätigkeit und gegen die Zerstörung von Gemeingütern wie Boden, Wasser und Luft und gegen das Zerreißen des sozialen Bandes zwischen Bauern und Gesellschaft.
Seit über zehn Generationen bewirtschaftet die Familie von Maria Lidl im oberbayerischen Penzberg einen Hof, der vor allem Milchvieh hält, aber auch ein Ferien- und Bildungsort für nahe Kindergärten und Schulen ist. Mit ihr sprachen Carmen Grimbs, die seit einigen Jahren einen Demeter-Hof in Kamlach bewirtschaftet, und Niels Ondraschek von Transition Woods, einem Verein, der statt der verbreiteten Holzplantagen wieder natürliche Waldlebensräume schafft. Sie waren sich einig, dass Vielfalt nicht nur für das Leben der Böden, Wälder oder Tiere gut ist, sondern auch für die Menschen, die sie als Land- oder Forstwirte kultivieren.
Über die Problematik der sogenannten „Agrarwende“ sprach der Umweltethiker und langjährige Geschäftsführer der Schweisfurth-Stiftung Franz-Theo Gottwald. Sie setze vor allem eine Ernährungswende voraus. Zudem stehen die Aktivitäten aus der Biotechnologie- und Finanzbranche, die bei den Böden zu einer immer höheren Eigentumskonzentration führen, einer nachhaltigkeitsorientierten Wende entgegen. Auch dürfte die Unterschiedlichkeit der Vorstellungen innerhalb der Bauernschaft selbst und zwischen ihr und gesellschaftlichen Anspruchsgruppen nicht übersehen werden. Gottwald berichtete von der Zusammenarbeit in sektorübergreifenden Arbeitsgruppen, die über die Beschäftigung mit gemeinsamen Themen, wie Vermarktungsstrategien oder Bodenpflege, die Verständigung voranbringen. Das wirke besser, als von der großen Politik verkündete „Wenden“.
Wie ein vorherrschender Landwirtschaftsstil durch alternative Pioniere verändert wird, untersuchte die Politikwissenschaftlerin Dorothea Schoppek. Solche Pionierprojekte starten mit unterschiedlichen Strategien: so gibt es Unternehmungen, die in den offenen Konflikt zu gegenwärtigen Praktiken gehen (zum Beispiel mit einer Ackerbesetzung, die gegen den Bodenverbrauch durch Gewerbebauten demonstriert) und solche, die in einer Nische ein Beispiel für ihr Verständnis einer nachhaltigen Landwirtschaft geben (etwa in einer Solidarischen Landwirtschaft). Schließlich gibt es reform-orientierte Praktiken, die eine große Reichweite erzielen, zugleich aber systemstabilisierend wirken (wie die Verbreitung von Biolebensmitteln über Discounter). Dass es in der Gesellschaft keine gemeinsame Wahrnehmung von Natur gibt, sondern vielmehr ein spannungsgeladenes Feld unterschiedlicher Ziele und Naturverhältnisse, beschrieb der Soziologe Dennis Eversberg.
Von Seiten der Praxis konnte das nur bestätigt werden: Wolfgang Scholz vom Bayerischen Bauernverband, Brigitte Honold von der Solidargemeinschaft Unser Land und Verena Halbritter von der Solidarischen Landwirtschaft Donihof zeigten, wie denselben Herausforderungen mit unterschiedlichen Ansätzen begegnet werden muss. Für die bäuerliche Landwirtschaft ist Nachhaltigkeit immer schon zentral, wie mitunter über Jahrhunderte fortgeführte Höfe zeigen. Doch auch neugegründete Arbeits- und Lebensgemeinschaften, wie der Donihof erfüllen eine wichtige Rolle in der Transformation: Sie führen Konsumenten und Produzenten, Böden und Bodenbewohner und zuletzt auch Stadt und Land auf erfüllende Weise zusammen. Wie die konsequente Orientierung an Regionalität unterschiedliche Akteure (Bauern, verarbeitendes Gewerbe und Handwerk, Vermarkter, Konsumenten) zusammenführt und Interessen ausgleicht, zeigt die bald 30jährige Arbeit der Solidargemeinschaft Unser Land.
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