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Chancen der sozialen Landwirtschaft – Tagungsbericht

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Die von Prof. Dr. Michael Spieker organisierte Tagung „Chancen der sozialen Landwirtschaft“ fand am 20. und 21. September in der Akademie für Politische Bildung in Tutzing statt. Das Thema der sozialen Landwirtschaft ist in der gesellschaftlichen und politischen Diskussion hierzulande noch relativ unbekannt – obwohl es doch ein zugleich uraltes Phänomen bezeichnet. Denn Landwirtschaft sorgt seit jeher nicht allein für die Nahrungsmittelproduktion, sondern ist auch als soziale Lebensform zu verstehen. Sie stellt immer schon einen Raum dar, in dem Menschen unterschiedlichster Art – Junge und Alte, Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Bedürfnissen – zusammen arbeiten und dabei von und mit der Natur leben. An diese multifunktionalen Lebens- und Praxisformen eines „sozialen Umgangs mit der Natur“, die durch die Industrialisierung und Technisierung der letzten Jahrzehnte allerdings zurückgedrängt wurden, knüpft der Gedanke der „sozialen Landwirtschaft“ an, wie etwa Thomas van Elsen (Universität Kassel und Deutsche Arbeitsgemeinschaft Soziale Landwirtschaft) in seinem Eingangsvortrag betonte.

Bauernhöfe können so nicht bloß als Nahrungslieferanten verstanden werden, sondern auch als Räume, in denen z.B. Menschen mit Förderbedarf Arbeit finden und auf diese Weise Selbstwirksamkeit und Anerkennung erfahren. Soziale Landwirtschaft eröffnet somit Möglichkeiten der Inklusion. Dabei bietet das Arbeiten im direkten Umgang mit Tieren, Pflanzen und den natürlichen Gegebenheiten und Kreisläufen zugleich therapeutische Potentiale für Menschen mit psychischen, Sucht- oder Demenzerkrankungen, etwa in der „tiergestützten Therapie“. Der Begriff der „sozialen Landwirtschaft“ erweist sich dabei als äußerst vielschichtig – mit ihm lassen sich ebenso handlungs- und erlebnispädagogische Angebote für junge Menschen umfassen (etwa Bauernhofkindergärten, Schule auf dem Bauernhof) oder auch Möglichkeiten eines selbstbestimmten Lebens für ältere Menschen (z.B. Senioren-WGs auf dem Bauernhof).

Soziale Landwirtschaft bedeutet somit die Verbindung von Landwirtschaft mit sozialer und pädagogischer Arbeit. Gleichzeitig steht sie häufig in einem engen Zusammenhang mit dem Gedanken ökologischer Nachhaltigkeit: zwar sind Projekte sozialer Landwirtschaft nicht ausschließlich auf Bio-Höfen zu finden, letztere waren und sind aber häufig die Vorreiter und überproportional vertreten. Schließlich „leben“ die genannten sozialen und pädagogischen Projekte gerade von einem engen und direkten Austausch mit der Natur, sie lassen sich nicht in hochtechnisierten Großbetrieben durchführen. So lassen sich ökologische und soziale Nachhaltigkeit sehr gut zusammendenken und Projekte sozialer Landwirtschaft können als konkrete Beispiele der Verwirklichung sozial-ökologischer Transformation gelten.

Doch warum sollten Landwirte sich überhaupt mit dem Thema beschäftigen? Sind sie mit ihrer „eigentlichen“ Aufgabe der Nahrungsmittelproduktion nicht ohnehin schon genug ausgelastet? Sicherlich sind sie das, doch die soziale Landwirtschaft birgt für sie auch zusätzliche ökonomische Potentiale, da sie hierdurch sich „breiter aufstellen“ und ihre Einnahmequellen diversifizieren können. Zugleich bieten sich über soziale Projekte Möglichkeiten in einen Dialog mit der Gesellschaft zu treten. Dass ein solcher Dialog wichtig ist, um eine derzeit häufig empfundene Entfremdung zwischen Gesellschaft und Landwirtschaft zu überwinden, berichtete auf der Tagung etwa der Landwirt Georg Rudolph aus Böbing. Zudem können über attraktive „Erlebnisbauernhöfe“ neue Kunden gewonnen werden, die vielleicht im Hofladen auch direkt die Produkte des Hofes erwerben.

Derzeit entdecken jedenfalls immer mehr Höfe die Potentiale sozialer Landwirtschaft, sie beginnen sich zu vernetzen. Hier bedarf es freilich auch der Zusammenarbeit mit Gemeinden und Fachkräften,

etwa – je nach Projekt – aus den Bereichen der Pflege, Therapie oder Pädagogik. Auch bedarf es der Unterstützung durch die Politik, die die Möglichkeiten sozialer Landwirtschaft derzeit ebenfalls zu entdecken scheint. So berichtete Regine Wiesend vom Bayerischen Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten über „Stand und Entwicklung“ der sozialen Landwirtschaft in Bayern. Derzeit gebe es rund 200 Betriebe der sozialen Landwirtschaft in Bayern – Tendenz steigend.

Frau Wiesend und Frau Dr. Viktoria Lofner-Meir, die früher ebenfalls im Ministerium tätig war und dort richtungsweisende Arbeit in dieser Richtung leistete, verwiesen zudem auf das „Praxis-Handbuch Soziale Landwirtschaft“, das kürzlich in einer aktualisierten Auflage als

Abschlussbericht eines auch mit EU-Mitteln geförderten Projekts publiziert wurde. Frau Lofner-Meir, die heute dem Verein Soziale Landwirtschaft e.V. vorsteht, berichtete aus ihrer langjährigen Erfahrung heraus auch von ökonomischen Herausforderungen, mit denen sich Landwirte konfrontiert sehen. Derzeit sind noch viele Fragen offen, etwa was die Finanzierung sozialer Landwirtschaft und Klärung administrativer Zuständigkeiten anbelangt, wie auch Martina Rasch von der Fachstelle Maßstab Mensch in Horstedt (Niedersachen) berichtete. So sei das System der sozialen Arbeit noch nicht auf die Möglichkeiten sozialer Landwirtschaft eingestellt, häufig fehlten auch noch die rechtlichen Grundlagen für eine Förderung, was zur Verunsicherung bei allen Beteiligten führe. Ein Ausweg könne in manchen Fällen das „persönliche Budget“ sein, mit dem nicht Institutionen, sondern die Klienten selbst individuell gefördert werden, wie Rasch schilderte. Hier zeigt sich für die Politik noch Handlungsbedarf. Dass damit für die Menschen aus allen Zielgruppen und für die Landwirte, aber auch für die Gesellschaft insgesamt viel gewonnen werden kann, zeigte die Tagung eindrücklich.